top of page
Windrose_Hintergruende_18.jpg

Auf zwei Rädern durch die deutsche Seele

Hasnain Kazims "Deutschlandreise" im Salon Windrose


Was hält Deutschland zusammen? Der Autor Hasnain Kazim radelte durch die Republik, um Antworten zu finden. In seinem Buch 'Deutschlandreise' definiert er Heimat über die deutsche Sprache und berichtet von faszinierenden Begegnungen. So traf er eine frustrierte Wählerin, deren politische Odyssee in einem tiefgründigen Gespräch gipfelte. Kazim erkundet die Transformation ostdeutscher Städte, reflektiert regionale Identitäten ganz Deutschlands und hinterfragt den Begriff der 'Leitkultur'. Seine Reise offenbart ein vielschichtiges Bild Deutschlands, das von mutigen Zivilgesellschaften bis hin zu besorgniserregenden Ressentiments reicht, und regt zum Nachdenken über Zusammenhalt in Zeiten zunehmender Polarisierung an.


Oberursel, 3. Oktober 2023 - Am Tag der Deutschen Einheit präsentierte der Autor Hasnain Kazim sein neues Buch "Deutschlandreise: Auf der Suche nach dem, was unser Land zusammenhält" im Rahmen einer Veranstaltung des Vereins Windrose, die vom Ausländerbeirat Oberursel unterstützt wurde. Kazim, gebürtiger Oldenburger mit indisch-pakistanischen Wurzeln und ehemaliger SPIEGEL-Korrespondent, nahm das Publikum mit auf eine bewegende Reise durch die Republik.

 

Getrieben von dem Wunsch, sein Heimatland besser zu verstehen, hatte sich Kazim aufs Fahrrad geschwungen, dem Lauf deutscher Flüsse folgend. "Ich wollte dem Zufall Raum geben und einfach mit Leuten ins Gespräch kommen", erklärte der Autor seine Motivation.

 

Kazim reflektierte über die Ängste in der Gesellschaft: "Warum haben so viele Menschen ständig Angst vor irgendwem, und schaffen es nicht, ihre Ängste so zu artikulieren, dass sie sie nicht auf ganzen Gruppen projizieren, verallgemeinern, Vorurteile bedienen?" Er sprach sowohl die Warnungen vor einem Rechtsruck an als auch solche vor einer vermeintlichen "Öko-Diktatur" und einer "linksgrünen Elite". "Aber was stimmt denn nun? Und stimmt es überhaupt?", fragte er provokativ. 

Ein zentrales Thema des Abends war Kazims Definition von Heimat. "Für mich ist die deutsche Sprache meine Heimat", betonte er.

Diese Perspektive, die Heimat nicht geografisch, sondern sprachlich verortet, bot einen frischen Blick auf Fragen der Identität und Zugehörigkeit. Kazim erinnerte sich an seine Zeit als Korrespondent in Pakistan, wo er die deutsche Sprache als verbindendes Element in der kleinen deutschen Community erlebte – so, wie auch hierzulande Menschen ihre Sprache als Teil der Identität wahren.

 

Die Reise führte Kazim durch verschiedene Regionen Deutschlands, von der Elbe über die Ruhr bis zur Oder-Neiße-Grenze. Besonders eindrücklich waren seine Schilderungen aus Ostdeutschland. Er zeigte sich beeindruckt vom Wiederaufbau und der Transformation vieler Städte. "Bautzen, Görlitz und Zittau sind fantastische Städte. Es lohnt sich wirklich, dahin zu kommen", schwärmte er. Gleichzeitig betonte er die Herausforderungen, denen sich die Menschen dort gegenübersehen. Er traf auf eine starke Zivilgesellschaft, die sich für Demokratie und Integration einsetzt, oft unter schwierigen Bedingungen. "Das fand ich unglaublich mutig und gut", kommentierte Kazim. Er unterstrich damit, dass es in Ostdeutschland nicht nur Brandanschläge auf Flüchtlingsheime oder Menschenjagden gibt, sondern eben auch diese mutigen Menschen mit Einsatz für Demokratie.

 

Der Autor berichtete von einer bemerkenswerten Begegnung in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Frau, die nach jahrelanger Unterstützung verschiedener Parteien schließlich die AfD wählte. Ihre Geschichte von Frustration über politische Entscheidungen, insbesondere das Heizungsgesetz, und dem Gefühl, nicht gehört zu werden, bot Einblicke in die Motivation mancher AfD-Wähler. Doch das zweistündige Gespräch mit Kazim brachte die Frau zum Nachdenken. Er ermutigt alle:

"Als Demokrat würde ich schauen, welche Partei mir am nächsten liegt, wo ich die wenigsten Probleme habe, und die wähle ich dann halt. Und Demokratie lebt, ehrlich gesagt, auch immer vom Mitmachen."

 

Ein weiteres eindrückliches Erlebnis hatte Kazim in Upahl, einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Dort erlebte er den Protest gegen ein geplantes Flüchtlingsheim. Der Autor zeigte Verständnis für die Bedenken der Einwohner angesichts der geplanten Unterbringung von 400 Flüchtlingen in einem 500-Seelen-Dorf, betonte aber gleichzeitig die Notwendigkeit, Lösungen zur Unterbringung in Deutschland zu finden und im Dialog zu bleiben. Bei dieser Gelegenheit wurde Kazim selbst mit Ressentiments konfrontiert. "Sind Sie einer von denen, die hierher ziehen sollen?", wurde er gefragt - eine Anfeindung allein aufgrund seines Hauttons. Die positive Essenz auch dieser Begegnungen: die Mehrheit ist hilfsbereit, wenn auch 400 dort einfach zu viel wären. Es wäre auch für die 400 Leute, die man da unterbringt, nicht gut: „Ich habe mich da umgeschaut, da gibt es nichts, da gibt es eine Tankstelle. Was sollen die da? Sollen die da abends Bier trinken?“

 

Kazim reflektierte auch über die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung von Dialekten. Er bedauerte, dass viele Sachsen versuchen, ihren Dialekt zu verstecken, und plädierte für mehr Wertschätzung sprachlicher Vielfalt. Er erzählte auch die Geschichte von Dirks Familie, die aus dem nahen Kedingen "zugewandert" war und trotzdem als fremd galt. Zu einer Zeit, als diese „Reise“ nunmal noch mindestens einen Tag brauchte. "Dirk muss selbst lachen. Dirks Familie ist migriert aus jener Gegend, von der ich innerhalb weniger Stunden mit dem Fahrrad hergefahren bin", berichtete Kazim, um die oft willkürlichen Grenzen zwischen "Einheimischen" und "Fremden" zu verdeutlichen.

 

Die AfD thematisierend verzichtete Kazim weitestgehend auf die vielen schockierenden Aussagen derer Politiker – denn Bemerkung wie von Höcke, dass Deutschland einen Bevölkerungsrückgang von 20-30% verkraften könne, müssen doch längst allen bekannt sein. Er betonte, dass gewiss nicht alle AfD-Wähler Rechtsextreme seien, sie aber durchaus verantwortlich sind, auf demokratischem Wege Rechtsextremisten den Weg an die Macht zu ebnen – was andererseits aus Rechtsextremisten noch keine Demokraten macht.

 

Er positionierte sich gegen ein jetziges Parteiverbot, dazu hätte man vielleicht früher entschlossener sein müssen. Er betonte, dass das Ziel ohnehin sein müsse, "den Brand hinter der Brandmauer zu löschen". Er unterstrich die Notwendigkeit einer anderen Politik mit Maß und Willen, statt der AfD oder dem BSW hinterherzulaufen. Er ergänzte: „Und ich glaube, sehr viele Menschen haben den Eindruck, dass das eben nicht mehr gemacht wird. Das ist so das Problem.“

 

Kazim sprach auch offen über Bedrohungen, denen er ausgesetzt ist. Neben rechtsextremen erfährt er mittlerweile auch islamistische Bedrohungen. Er betonte, dass es das Ziel von Extremisten immer sei, einzuschüchtern und mundtot zu machen. Er erinnerte an den Rat seiner Lehrerin: "Lass dich nicht von denen einschüchtern, sonst haben die gewonnen." Kazim berichtete, dass er keine Termine absagt, diese aber teilweise mit Polizeischutz, Metalldetektoren und ähnlichen Sicherheitsmaßnahmen stattfinden müssen.

 

In Bezug auf eine mögliche deutsche Leitkultur reflektierte Kazim über verschiedene Elemente: die Sprache, die deutsche Küche mit ihren regionalen Besonderheiten und das Grundgesetz. Er betonte jedoch, dass es schwierig sei, eine einheitliche Definition zu finden.

 

Trotz kritischer Betrachtungen verschiedener gesellschaftlicher Probleme schloss Kazim mit einem optimistischen Appell. Er betonte die Notwendigkeit, die positiven Aspekte Deutschlands nicht aus den Augen zu verlieren. "Es ist ein tolles Land mit vielen tollen Menschen", resümierte er und rief dazu auf, Hoffnung als verbindendes Element zu sehen.

 

Information zur Veranstaltung:

Die Veranstaltung wurde ermöglicht durch das Engagement des Vereins Windrose. Michael Behrent, Vorsitzender des Vereins Windrose, betonte die Bedeutung kultureller Veranstaltungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er erklärte: "Mit dem Format 'Salon Windrose' möchten wir eine Plattform für interessante Persönlichkeiten und wichtige Diskussionen schaffen."

 

Der Ausländerbeirat Oberursel unterstützte als finanzieller Sponsor - vielen Dank! Dessen Vorsitzender, Dr. Franz Zenker, erklärte die Rolle dieses Gremiums, das nichtdeutschen Mitbürgern eine Stimme in der lokalen Politik geben soll. Er hob hervor, dass die Kooperation mit der Windrose auf kultureller Ebene stattfindet.





bottom of page